Überarbeitung leicht gemacht
Vielleicht hast die Erfahrung schon einmal gemacht, möglicherweise stehst du an diesem Punkt aber auch zum ersten Mal: Du hast dein Manuskript beendet und bist bereit für den nächsten Schritt. Nein, nicht die Veröffentlichung — das kommt später. Erstmal folgt die Überarbeitung. Ein Arbeitsschritt, den viele Autoren und Autorinnen nicht gerade schätzen. Verständlicherweise, denn die schiere Menge möglicher Änderungen kann einen im ersten Moment erschlagen.
Sei nicht zu streng mit dir
Diese Phase dient ausdrücklich nicht dazu, dir vor Augen zu führen, was du alles nicht kannst. Ich weiß, manchmal fühlt es sich so an. Aber in Wahrheit geht es darum das Beste aus deinem Text zu holen. Du wirst in den nächsten Wochen und Monaten aus einem Rohdiamanten ein fertiges Schmuckstück schleifen.
Das wird bisweilen deprimierend und anstrengend sein, aber es lohnt sich. Ich habe dir nachfolgend fünf Basis-Tipps aufgelistet. Wenn du schon Erfahrung mit dem Überarbeiten von Manuskripten hast, kennst du diese Ratschläge vielleicht schon. Lass mich gerne wissen, welche Themen ich in meine Beiträge für Fortgeschrittene aufnehmen soll.

Tipp 0: Sei stolz auf dich
Okay, ich habe geschummelt. Es sind eigentlich sechs Tipps. Das hier ist der wichtigste, den ich dir mit auf den Weg geben kann: Sei stolz auf dich und deine Leistung. Ein Manuskript zu beenden ist nicht einfach. Auch wenn viele Menschen gerne verlauten lassen, dass sie „irgendwann auch mal ein Buch schreiben wollen“ — die wenigsten setzen dieses Vorhaben jemals um.
I hope you live a life you’re proud of. If you find that you’re not, I hope you have the strength to start all over again.
F. Scott Fitzgerald
Du hast dir eindeutig eine Belohnung für dein Durchhaltevermögen verdient. Das kann ein entspannter Abend in der Badewanne, ein neues Buch oder eine Pizza sein. Ganz egal, wie gut oder schlecht du deine Rohfassung findest und wie viel Arbeit auf dich wartet, du solltest diesen Erfolg feiern.

Tipp 1: Übe dich in Geduld
Nachdem du dein Manuskript beendet hast, möchtest du vermutlich direkt loslegen. Tu das nicht. Im Laufe der Zeit entwickelt sich bei jedem eine gewisse Betriebsblindheit für die eigenen Texte. Logikfehler fallen nicht mehr auf, Schwächen werden überlesen. Das ist ganz normal.
Lass dein Manuskript eine Weile ruhen, um Abstand zu gewinnen. Auch emotionale Distanz ist wichtig. Optimal sind mehrere Monate, bei einer nahenden Deadline tun es auch einige Wochen. Je mehr Abstand du gewinnst, desto besser. Denn jetzt geht es darum, deinen Text so zu betrachten, wie es die Leserschaft tun würde. Ohne Vor- und Hintergrundwissen.
Tipp 2: Eine Bestandsaufnahme machen
Der Überarbeitungsaufwand eines Manuskriptes ist von der Qualität der Rohfassung abhängig. Einige Autoren müssen nachträglich viel streichen, andere mehr ergänzen. Auch das gehört dazu. Damit du weißt, was auf dich zukommt, solltest du das Manuskript im Idealfall mit einem analytischen Blick lesen, sobald du es wieder in die Hand nimmst.
Manche Fehler werden dir sofort auffallen, für andere wirst du genau hinschauen müssen. Am besten machst du dir beim Lesen eine Liste mit den Dingen, die du wiederholt falsch machst.
Diese Liste könnte beispielsweise so aussehen:
Inhalt
- Gewichtung der Handlungsstränge
- Spannungsaufbau
- Redundanzen, Widersprüche
- Reihenfolge der Szenen
- Figurenentwicklung
- Beschreibungen
Sprache
- Wortwahl
- Wiederholungen
- Sprachstil
- Grammatik
- Rechtschreibung
- Beschreibungen
DieKriterien bei der Überarbeitung
Schauen wir uns die einzelnen Punkte auf meiner Liste mal genauer an. Vielleicht ist dir aufgefallen, dass „Beschreibungen“ zweimal vorkommt. Das ist Absicht. Beschreibungen liefern wichtige Details für den Weltenbau und sind daher inhaltlich relevant. Damit sie funktionieren, müssen sie allerdings auch sprachlich stimmig sein. Weil sie so wichtig sind (und gelegentlich Schwierigkeiten bereiten), widme ich ihnen in diesem Beitrag einen eigenen Abschnitt.
Tipp 3: Strukturiert vorgehen
Du hast jetzt eine Fehlerliste, weißt aber immer noch nicht, womit du anfangen sollst. Die Versuchung an allen Ecken und Enden zu beginnen, ist womöglich groß. Im ersten Moment magst du vielleicht glauben, dass du alles in einem Abwasch erledigen und dadurch Zeit sparen kannst. Sofern es sich nicht um einen kurzen Text handelt, würde ich davon abraten.
Ich unterteile die Überarbeitung zunächst in vier Bereiche:
- Plot und Struktur
- Inhalt, Logik
- Weltenbau, Setting
- Sprache und Stil
Warum ich in dieser Reihenfolge überarbeite
Eingriffe in die Struktur oder den Plot des Textes ziehen meist die größten Veränderungen nach sich. Wenn ich eine Szene umschreibe oder an eine andere Stelle rücke, verursache ich dabei eventuell sogar neue Fehler. Außerdem müssen neue Textstücke am Ende noch einmal überprüft werden. Diesen Bereich gehe ich bei der Überarbeitung eines Manuskripts deshalb zuerst an.
Die Feinheiten kommen zum Schluss. Wenn alle Szenen geschrieben sind und in der finalen Reihenfolge stehen, mache ich mich an die stilistischen und sprachlichen Mängel und Schwächen, um nicht in einer ewigen Korrekturschleife zu landen.
Mein Weg uns nicht deiner sein
Du kannst dir jederzeit eigene Kategorien für die Überarbeitung überlegen. „Figuren“ kann zum Beispiel auch ein eigener Punkt sein. Ich empfehle dir, möglichst keine Unterkategorien (z. B. Beschreibungen mit den Unterkategorien Figuren- und Ortsbeschreibungen) zu nutzen, sonst blickst du am Ende nicht mehr durch.
Exkurs: Beschreibungen analysieren
Natürlich ist je nach Genre und Kontext nichts gegen ausufernde Beschreibungen einzuwenden. Wenn die Protagonistin eine leidenschaftliche Architektin ist, wird sie Gebäude vermutlich anders betrachten als eine Biologin. Zudem sorgen Beschreibungen für Atmosphäre. Seitenlange Schilderungen wissen allerdings nur wenige Leser zu schätzen. Frage dich also, ob deine Beschreibungen zu umfangreich oder zu kurz für deine Zielgruppe sind.
Den Eifelturm musst du dem Leser nicht zwingend beschreiben, ein ungewöhnliches Gebäude in einer Fantasy-Welt schon eher. Zu viele Leerstellen können den Leser überfordern. Deshalb kann es sinnvoll sein, Beschreibungen zu ergänzen, solltest du damit zu sparsam gewesen sein.
Zu viele, zu wenige oder nicht gelungene Beschreibungen werden in einem dritten Schritt gestrichen, ergänzt oder verbessert. Gerade in meinem Genre (Fantasy) ist ein genauer Blick auf den Weltenbau und das Setting unerlässlich.
Beispiel 1
Vor der Hütte befand sich ein Wald.
Das ist das absolute Minimalprogramm. Es kann durchaus berechtigt sein, wenn die Information unwichtig ist und schnell vermittelt werden soll. Die meisten Leser waren in ihrem Leben schon einmal in einem Wald und haben bei diesem Wort sofort irgendein Bild im Kopf.

Beispiel 2
Vor der Hütte befand sich ein Nadelwald.
Moment, Nadelwald? Verdammt. Okay, wir haben eine Spezifikation. Wir wissen jetzt, welche Bäume da vor der Hütte stehen. Das ist nicht viel, aber immerhin konkret. Wir beschreiben also ein Setting wie dieses:

Beispiel 3
Vor der Hütte ragten Tannen in die Höhe, deren Zweige sich unter dem Gewicht der Schneedecke neigten.
Oh! Es ist Winter! Die Informationen in diesem Satz: Vor der Hütte steht mehrheitlich Tannen, es hat kürzlich geschneit, es ist vermutlich kalt.
Wie habe ich das gemacht? Ich habe zunächst das Verb ausgetauscht, die Erwähnung des Schnees erzeugt Atmosphäre und vermittelt eine Vorstellung der Umgebung.

Beispiel 4
Vor der hölzernen Hütte ragten ungefähr zweitausend dunkelgrüne Tannen in die Höhe. Sie waren sogar so hoch, dass sie fast an den Wolken kratzten. Ihre Zweige neigten sich unter dem Gewicht einer kristallenen Schneedecke, hier und da rieselte eine einzelne gezackte Flocke herab.


Ist dir aufgefallen, dass du dem vierten Beispiel keine zusätzlichen Informationen entnehmen kannst? Ich habe den Satz aus Beispiel 3 einfach künstlich in die Länge gezogen. Bei solchen Beschreibungen solltest du dir gut überlegen, ob du sie wirklich brauchst und ob sie zu Genre und Zielgruppe passen.
Tipp 4: Überlege dir ein System
Wenn du die Möglichkeit hast — entweder in deinem Schreibprogramm oder bei einem Ausdruck — nutze verschiedene Farben zur Überarbeitung. Durch eine einzige Rotstiftlandschaft blickt am Ende keiner mehr durch. Bei großen Änderungen kann es sinnvoll sein, nebenbei eine Liste zu führen und zu vermerken, wo du welche Änderung vorgenommen hast. Achtung: Erst alles markieren, dann überarbeiten.
Tipp 5: Halte dich nicht mit Kleinkram auf
Solltest du an irgendeinem Punkt nicht weiterkommen, musst du nicht warten, bis du vor Frustration das Handtuch werfen willst. Mach dir einfach eine Notiz und gehe zum nächsten Problem über. Es gibt mit Sicherheit genug, um sich nicht an einem einzigen festzubeißen.
Wenn du zu einem späteren Zeitpunkt zu der problematischen Stelle zurückkehrst, fällt sie dir eventuell schon gar nicht mehr schwer. Wenn du mit einer Szene gar nicht weiterkommst, wird dir spätestens durch ein Lektorat geholfen.
Basic-Tipps zum Schluss
- Mach dir vor der Überarbeitung eine Sicherheitskope
- Arbeite NIEMALS an der Originaldatei
- Strebe nicht nach Perfektion
- Lass dich von anderen Autoren und Autorinnen motivieren!
- Probiere verschiedene Arbeitsweisen aus, z. B. den "10 Punkte TÜV" von Andreas Eschbach
Überarbeitest du dein Manuskript ganz anders? Wie bist du bisher angefangen und was wirst du zukünftig eventuell auf andere Weise angehen? Ich freue mich über Kommentare!
